Streptomyces coelicolor
Das blaue Wunder im Wald
Stellt euch vor, ihr steht im Wald. Und damit meine ich nicht, dass ihr gerade einen überraschten Ausdruck der Verwunderung von euch gegeben habt. Ich meine den tatsächlichen Wald. Es war ein warmer Sommertag und vielleicht habt ihr euch entschieden, am Abend eine kleine Runde durch den Wald zu drehen. Natürlich fängt es genau in dem Moment an zu regnen. Ihr lauscht dem Regen auf dem Blätterdach und plötzlich steigt euch ein sehr bekannter Geruch in die Nase. Der Geruch von Regen - oder Waldboden nach einem Regen. Diesen Geruch bezeichnet man in der Wissenschaft als Petrichor. Der Name lässt sich aus dem Altgriechischen ableiten. Dabei steht Petros für Stein und Ichor für das Blut der Götter. Es handelt sich also um eine ganz besondere Essenz, von der man, wie der Name schon sagt, zunächst vermutet hat, dass sie von Steinen und dem Boden selbst ausgeht.
Da wir darüber in diesem Podcast sprechen, könnt ihr euch aber schon denken, dass das nur die halbe Wahrheit ist. Erstmals beschrieben wurde dieser Petrichor im späten 19. Jahrhundert. Die chemische Grundlage dafür konnte allerdings erst im Jahr 1965 ermittelt werden. Mitbeteiligt an der Entstehung dieses spezifischen Geruchs ist ein Molekül mit dem Namen ((4S,4aS,8aR)-4,8a-dimethyloctahydronaphthalen-4a(2H)-ol) - etwas sperrig vielleicht. Und natürlich hat sich die Wissenschaft deshalb einen anderen Begriff dafür überlegt, und zwar Geosmin. Auch hier bringt allein der Name wieder viele Informationen mit sich. Und zwar steht Geo für Erde und Osme lässt sich vom Geruch ableiten. Hier geht es also um den Geruch der Erde. Geosmin ist aber nicht nur das Molekül, das diesen Geruch nach nasser Erde auslöst, sondern auch das, was den teils erdigen Geschmack von Roter Beete ausmacht oder bei Wein einen unerwünschten, eher muffigen Geschmack mit sich bringen kann.
Wir würden aber nicht über Geosmin sprechen, wenn es nur in Pflanzen und Steinen enthalten wäre. Tatsächlich wird Geosmin auch von im bodenlebenden Mikroorganismen produziert und dabei hauptsächlich von Arten der Gattung Streptomyces oder Myxobakterien. Diese Gattung Streptomyces ist die, die wir uns heute genauer ansehen wollen. Beschrieben wurde sie erstmals durch Waksman und Henrici im Jahre 1943. Da ich mir offensichtlich sehr gerne Namen anschaue, machen wir das auch hier. Streptos steht nämlich für gedreht und Myces für den Pilz. Trotz dieser Pilzreferenz im Namen war allerdings schon in den 1940er Jahren klar, dass diese Gattung den Bakterien zugeordnet ist. Streptomyceten sind allgemein als Antibiotikaproduzenten bekannt, so auch dem Streptomycin, dem sie ihren Namen gegeben haben - und eine Spezies dieser Gattung wollen wir uns heute ein bisschen genauer ansehen - Streptomyces coelicolor. Streptomyces coelicolor ist ein wichtiger Modellorganismus dieser Gattung, wieder mit einem ganz besonderen Namen. Coelicolor lässt sich nämlich zur himmelsfarbig übersetzen. Und tatsächlich - kultiviert man Streptomyces coelicolor im Labor entstehen flauschige weiße Kissen von mehreren Millimetern Größe, auf denen sich dann blaue Tröpfchen und Flecken ansammeln können. Diese sind ausgelöst durch Actinorodin. Dabei handelt es sich um ein blaues Antibiotikum, was aber auch je nach pH Wert ein bisschen die Farbe wechseln kann. Dieses Antibiotikum hat Streptomyces coelicolor zu seinem besonderen Namen verholfen. Da es manchmal mit der Taxonomie in der Mikrobiologie allerdings nicht so einfach ist und Gattungen mehrmals entdeckt werden, neu zugeordnet oder neu klassifiziert werden müssen, ist der heute anerkannte Name für Streptomyces coelicolor häufiger Streptomyces albidoflavus, wobei sich albidoflavus mit weißgelb übersetzen lässt. Doch egal ob himmelblau oder weißgelb - in der Natur wächst Streptomyces coelicolor wie auch andere Vertreter der Gattung Streptomyces eher fadenförmig und verzweigt in sogenannten Hyphen. Das kann man sich vorstellen wie ein Pilzmycel oder wer das nicht kennt, wie das Wurzelgeflecht einer Zimmerpflanze, die man zu lange nicht umgetopft hat. An den Enden dieser feinen Härchen, die von Streptomyces colecolor geformt werden, können sich kleine kugelförmige Strukturen bilden. Dabei handelt es sich um sogenannte Exsporen, Dauerformen des Bakteriums, die resistent gegen viele Stressbedingungen sind und so bei der Vermehrung des Mikroorganismus helfen können.
Worüber wir aber eigentlich sprechen wollten, ist der regen Geruch, den Streptomyces coelicolor auslösen kann. Also wie kommt der denn jetzt vom Boden, wo Streptomyces wächst in die Luft?
Hierfür muss man wissen, dass Bakterien ihren Metabolismus bei Trockenheit sehr weit herunterfahren können und erst bei Kontakt mit Wasser wieder aus ihrem Dornröschenschlaf aufwachen. Dann können sie Geosmin bilden und es an die umgebende Erde abgeben. Außerdem konnten Forscher vom MIT, dem Massachusetts Institute of Technology, mit Slow Motion Videos herausfinden, wie Regen dazu beitragen kann, Stoffe aus der Erde an unsere Nasen heranzutragen. Sie konnten beobachten, dass, wenn Regentropfen auf poröse Oberflächen treffen, diese die Ausbildung von Aerosolen befeuern, also winzig kleinen Tröpfchen, die dann in die Luft geschleudert werden. Und da diese aus der Erde kommen, enthalten sie auch das von den dort lebenden Mikroben produzierte Geosmin, was dann in unsere Nasen getragen und wahrgenommen werden kann.
Jetzt könnte man sich natürlich fragen: Warum gibt es diesen Geruch überhaupt, diesen Petrichor? Und wofür ist der vielleicht nützlich?
Wenn man einen Blick in die Evolutionsbiologie wirft, wird deutlich, dass Eigenschaften sich vor allem dann durchsetzen, wenn sie einen Vorteil für die betreffende Lebensform mit sich bringen. Und der Vorteil der Geosminbildung für die Streptomyceten kommt in Form ihrer größten Feinde, der Springschwänze. Springschwänze sind kleine wirbellose Hexapoden, sogenannte Sechsfüßer, und bilden eine Schwesterklasse der Insekten. Sie ernähren sich von Streptomyceten und werden durch das von ihnen produzierte Geosmin angelockt. Das wirkt jetzt etwas kontraproduktiv. Warum sollten die Streptomyceten gerade die Springschwänze anlocken, die sie dann aufessen? Kurz gesagt, gegessen werden, hilft den Streptomyceten bei der Verbreitung. Ich habe vorhin schon die Sporen, diese resistente Dauerform angesprochen, und diese werden eben dadurch, dass die Streptomyceten von den Springschwänzen aufgefressen werden, an neue Orte getragen, wo sie dann wachsen und gedeihen können.
Doch nicht nur Springschwänze, sondern auch Menschen und andere Tiere reagieren sehr sensibel auf den Geruch von Geosmin. Eine Konzentration von 4 bis 10 Nanogramm pro Liter reicht dabei aus, um im Menschen die Wahrnehmung des Geruchs von Geosmin auszulösen. Wer sich das jetzt ein bisschen schwer vorstellen kann das entspricht ungefähr der Menge von einem Teelöffel Geosmin in 200 olympischen Schwimmbecken. Neben der hohen Sensibilität reagiert der Mensch zudem sehr selektiv auf Geosmin, also auch Duftstoffe, die in der chemischen Struktur dem Geosmin sehr ähnlich sind, lösen nicht dieselbe Wirkung aus. Interessant ist außerdem, dass Geosmin sowohl abstoßend als auch anziehend wirken kann, je nachdem, in welchem Kontext es wahrgenommen wird. Warum genau das so ist, darüber diskutiert die Wissenschaft noch. In der Natur vermutet man zum Beispiel, dass Geosmin das Vorkommen von Frischwasser signalisieren kann und so Menschen und anderen Tieren zeigt, wo sie hin müssen, um Frischwasser zu finden. Gerade in Lebensmitteln hat Geosmin aber eher eine abstoßende Wirkung. Hier vermutet man, dass das Vorkommen von Geosmin ein Hinweis auf verschimmelte Lebensmittel sein könnte, die nicht verzehrt werden sollten. Außerdem wurde beobachtet, dass auch manche Fische auf Geosmin reagieren, obwohl sie ja im Frischwasser leben und das nicht mehr suchen müssen. Hier vermutet man, dass das Vorkommen von Geosmin ein Hinweis auf besonders Mikroben haltige und damit nährstoffreiche Sedimente ist, so dass hier für die Fische vielleicht Nahrung zu finden sein könnte.
Streptomyces coelicolor und die Bildung von Geosmin hat also einen Einfluss auf ganz viel in unserer Umgebung. Doch auch in der Wissenschaft hat Streptomyces coelicolor eine hohe Relevanz. Streptomyceten weisen im Vergleich zu vielen anderen mikrobiellen Lebensformen ein lineares Genom auf, das heißt, anders als viele andere Mikroorganismen organisieren sie ihre DNA nicht ringförmig, was sie zu einem spannenden Forschungsobjekt macht. Zudem konnte 2002 das gesamte Genom von Streptomyces coelicolor sequenziert werden. Das bedeutet, dass der gesamte Bauplan für das Leben dieses Mikroorganismus bekannt ist. Damit lassen sich viele Prozesse sehr detailreich untersuchen und Streptomyces coelicolor ist damit ein ideales Modellsystem. Wie ihr also heute lernen konntet, ist Streptomyces coelicolor oder albidoflavus, ein ganz besonderer Mikroorganismus, der uns nicht nur viele Antibiotika und spannende Erkenntnisse, sondern auch den einzigartigen Geruch von Regen auf trockener Erde bringt.
Übrigens diesen Geruch jederzeit verfügbar haben will, ohne dafür im Regen stehen zu müssen, der kann sich im Parfümbedarfshandel nach Geosmin umschauen.
Vielleicht seht - oder riecht - ihr bei eurem nächsten Waldspaziergang also noch mal ganz genau hin. Und er schnuppert unseren kleinen Regentänzer Streptomyces coelicolor. Damit sind wir am Ende dieser Folge angelangt, und mir bleibt nur noch eins zu sagen. Vielen Dank fürs Lesen und bleibt neugierig!