Corynebakterium glutamicum
Preisgekrönter Geschmacksträger
Die heutige Folge ist ein besonderer Leckerbissen für alle Freunde des guten Geschmacks oder zumindest die des starken Geschmacks. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts waren die vier Grundgeschmäcker allgemein bekannt - süß, sauer, salzig und bitter. Einige von euch werden jetzt schon den Finger erhoben haben, um mich zu korrigieren. Schließlich gibt es doch noch mindestens einen weiteren Grundgeschmack. Und genau um diesen soll es heute gehen. Dafür springen wir zunächst ins Jahr 1907. Kikunae Ikeda, Professor für Chemie an der Universität Tokio, kommt der Erzählung nach von der Arbeit nach Hause. Seine Frau hat das Abendessen bereits vorbereitet, eine Suppe auf Basis von Dashi, einer Fischbrühe. Kikunae Ikeda ist begeistert von dem besonderen Geschmack der Suppe, für den er nicht die richtigen Worte findet. Dieser Geschmack, der die Suppe so besonders macht, ist nicht süß, salzig, sauer oder bitter. Er ist umami, abgeleitet aus dem Japanischen für schmackhaft oder würzig. Mit dieser Benennung erweitert Kikunae Ikeda die Palette der Grundgeschmäcker. Doch damit nicht genug. Er möchte das Rätsel dieses Geschmacks lösen und begibt sich auf die Suche nach der Ursache von Umami. Als erstes nimmt er dafür die Suppengrundlage Dashi in den Fokus.
Traditionell wird Dashi aus Bonitoflocken, also getrocknetem und geräuchertem Thunfisch sowie braunem Seetang, auch Kombu genannt, hergestellt. Diesen Seetang der Gattung Saccharina japonica identifiziert Kikunae Ikeda als Verursacher des besonderen Geschmack. Systematisch untersucht er verschiedene Zersetzungsprodukte von Kombu, bis er schließlich auf ein kristallbildendes Salz stößt. Was zunächst sauer schmeckt, löst bei Zugabe von Natronlauge genau die Empfindung auf der Zunge aus, nach der der Professor gesucht hat. Das Salz, das er gefunden hat, ist Mononatriumglutamat, heute oft bekannt als Glutamat, MSG oder E261 - und es wird die kulinarische Welt verändern. Ikeda gründet eine Firma zur industriellen Herstellung von Glutamat, die seit einer Umbenennung im Jahr 1946 Ajinomoto übersetzt “Essenz des Geschmacks” heißt. Die Firma existiert bis heute und ist so relevant, dass sich ihr Name zum Gattungsbegriff für Glutamat entwickelt hat, sowie Tempo für Taschentücher.
Heute ist Glutamat ein viel verwendeter Geschmacksverstärker, der vor allem auch in der asiatischen Küche eingesetzt wird. Allerdings gibt es auch viele Lebensmittel in den Glutamat ganz natürlich in großen Mengen vorkommt und die somit den umami-Geschmack auslösen können. Dazu gehören beispielsweise Hefeextrakt oder Hefeflocken aber auch Parmesan oder Schinken. Gerade wegen der großen Relevanz von Glutamat und dem hohen Bedarf war die Gewinnung aus Kombu schnell nicht mehr zeitgemäß. Eine neue Methode musste her. Die vermeintliche Lösung: Mikroben.
Im Jahr 1957 startete die japanische Firma Kyowa Hakko Kyogo deshalb eine Studie, um Mikroben zu identifizieren, die ganz natürlich große Mengen an Glutamat produzieren, um diese zur Gewinnung nutzen zu können. Die beiden Forscher Shigezo Udaka und Shukuo Kinoshita machen sich an die Arbeit und untersuchen zahlreiche verschiedene Bakterien, Hefen und weitere Pilze auf die Menge an Glutamat, die diese produzieren. Bei den Organismen, die sie hier verwenden, handelt es sich um Isolate aus Bodenproben, aber auch aus Abwasser, von Tierkot, Früchten und allerlei weiteren Orten. Fündig werden sie dann schließlich in einer Bodenprobe aus dem Ueno-Zoo in Tokio. In dieser scheint ein Mikroorganismus zu leben, der außergewöhnlich hohe Mengen an Glutamat produziert. Die Wissenschaftler nennen das Bakterium deshalb Micrococcus glutamicus. Später wird es dann zu Corynebakterium glutamicum umbenannt. Doch seinem Erfolg in der Biotechnologie hat das auf keinen Fall im Wege gestanden.
Den Namen Corynebakterium verdankt es seiner etwas ungewöhnlichen Form. Coryne kommt nämlich aus dem Griechischen für Keule und ist eine gute Beschreibung der Form der Zellen, die tatsächlich keulenartig erscheint. Das heißt, dass ein Ende der Zellen etwas dicker ist als das andere. Schaut man sich Corynebakterien unter dem Mikroskop an, beobachtet man oft auch eine Art V-Form. Bilder davon kann ich euch weiter unten verlinken. Diese Form entsteht durch die besondere Art der Zellteilung, die den Corynebakterien eigen ist und wird durch zwei Zellen verursacht, die nach der Teilung verbunden bleiben. Bakterien vermehren sich, wie ihr vielleicht wisst, durch Zellteilung. Sie verdoppeln also ihre DNA und wachsen dann, bis sie genug Zellmembran, also Außenhülle haben, um eine zweite Zelle abzuschnüren. Bei Corynebakterien läuft das Ganze prinzipiell genauso ab. Sie wachsen allerdings an den Polen, also den schmaleren Enden der Zelle. Und sie haben eine zweite, stabilere Außenhülle, eine sogenannte Zellwand. Diese nimmt nicht an der Zellteilung teil, sodass am Ende des Prozesses zwei getrennte Zellen von derselben Außenhülle umgeben sind. Erst dann kommt es an einer begrenzten Stelle zum Aufreißen der Zellwand. Die Zellen schnappen dann auseinander und bilden in einem Prozess, den man passenderweise Schnappteilung nennt, diese charakteristische V-Form. Das soll es dann aber auch gewesen sein mit diesem etwas detaillierteren Ausflug in die Welt der Zellteilung. Stattdessen wollen wir uns jetzt wieder auf die Bedeutung von Corynebakterium glutamicum in der Welt der Biotechnologie fokussieren.
Seit seiner Entdeckung hat es nämlich eigentlich genau das gemacht, wofür es ursprünglich gesucht wurde: Glutamat produziert. Das ursprünglich isolierte Corynebakterium glutamicum wurde dabei genetisch verändert, um die Produktion der Glutaminsäure weiter zu erhöhen. Zudem wurde die Aminosäure zunächst aus Getreide oder Melasse hergestellt. Inzwischen können aber weniger wertvolle Produkte wie Pflanzenabfälle und Reste aus der Biodieselproduktion genutzt werden. Insgesamt produziert Corynebakterium glutamicum etwa 3,5 Millionen Tonnen Glutamat jährlich. Das entspricht der Menge, die einen Güterzug mit 50.000 Waggons bzw einer Länge von 850 Kilometern füllen könnte. Das entspricht etwa der Strecke von Kiel bis München. Die schiere Menge und Bedeutung auf dem Weltmarkt hat Corynebakterium glutamicum den Preis Mikrobe des Jahres 2025 eingebracht, der von der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie VAAM vergeben wird. Deswegen wollte ich diese Mikrobe auch unbedingt noch in diesem Jahr besprechen. Schon im Januar wird schließlich die nächste Mikrobe des Jahres gekürt.
Doch nicht nur in der Biotechnologie, sondern auch in der medizinischen Forschung spielt Corynebakterium glutamicum eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Während Corynebakterium glutamicum für den Menschen völlig harmlos ist, gibt es enge Verwandte des Bakteriums, bei denen das nicht der Fall ist. Zu diesen gehören Corynebakterium diphteriae, Mycobakterium tuberkulosis und Mycobakterium leprae, die wir vielleicht aus dem Namen schon erraten habt, die Auslöser von Diphtherie, Tuberkulose und Lepra sind. Auch wenn diese Krankheiten in Mitteleuropa eine eher untergeordnete Rolle spielen und jährlich nur wenige Fälle auftreten, ist dies leider nicht auf der ganzen Welt der Fall. Umso wichtiger also, dass wir mit Corynebakterium glutamicum einen ungefährlichen Modellorganismus haben, an dem Zellteilung, Zellwandsynthese und weitere Aspekte im Detail untersucht werden können, um Behandlung und Prophylaxe zu verbessern.
Corynebakterium glutamicum ist also eine Mikrobe, die durch die von ihm natürlich produzierte Aminosäure Glutamat unserem Essen den unverwechselbaren Hauch von Umami verleihen kann. Ihr könntet heute die Bedetung von Mikroben wie Corynebakterium glutamicum in der Biotechnologie kennenlernen und sehen, wie neue Bakterienarten manchmal nicht nur durch Zufall, sondern auch durch gezielte Suche entdeckt werden können. Vielleicht denkt ihr ja daran, wenn ihr eurem Essen das nächste Mal mit Glutamat das gewisse Etwas verleiht - ob in Form eines Pulvers, natürlich glutamathaltiger Lebensmittel oder einer in Deutschland besonders beliebten, Würzsoße mit rot-gelbem Etikett.
Links & weitere Infos
Entdeckung von Umami und Glutamat als Ursache des Geschmacks
https://www.theguardian.com/lifeandstyle/2005/jul/10/foodanddrink.features3
Erstbeschreibung von Corynebakterium glutamicum
Kinoshita, S., Udaka, S. und Shimono, M. (1957) „Studies on the Amino Acid Fermentation“, The Journal of General and Applied Microbiology, 3(3), S. 193–205. Verfügbar unter: https://doi.org/10.2323/jgam.3.193.
Wissenschaftlicher Artikel zur Schnappteilung
Krulwich TA, Pate JL. Ultrastructural explanation for snapping postfission movements in Arthrobacter crystallopoietes. J Bacteriol. 1971 Jan;105(1):408-12. https://doi.org/10.1128/jb.105.1.408-412.1971
Ernennung zur Mikrobe des Jahres 2025, VAAM inkl. Bildern von Corynebakterium glutamicum
https://vaam.de/infoportal-mikrobiologie/mikrobe-des-jahres/mikrobe-des-jahres-2025/