Vampirovibrio chlorellavorus
Schreckgestalt der Mikrobenwelt
Nebel wabert durch die dunklen Straßen, Schatten tanzen über die Hauswände und hier und da leuchtet die Fratze eines geschnitzten Kürbisses durch die Finsternis. Halloween nähert sich und aus diesem Grund habe ich euch heute eine Mikrobe mit einer besonders schaurigen Art der Nahrungsbeschaffung mitgebracht. Diese Mikrobe trägt passend zur Jahreszeit den schaurig schönen Namen Vampirovibrio chlorellavorus.
Diesen Namen müssen wir uns mal genauer anschauen. Vampiro steht, wie euch wahrscheinlich denken könnt, für Vampir. Anders als bei den meisten Mikroben ist das weder aus dem Griechischen noch aus dem Lateinischen abgeleitet, sondern kommt stattdessen aus dem kroatisch-serbischen Sprachraum, wo auch die Erzählungen über die blutsaugenden Schauerwesen ihren Ursprung hat. Vibrio ist lediglich eine Bezeichnung des Aussehens des Bakteriums. Als vibrionenförmig beschreibt man nämlich Bakterien, die ein bisschen aussehen wie ein gebogenes Stäbchen oder, wer sich das besser vorstellen kann, ein Komma. Jetzt haben wir also schon den Vornamen des Bakteriums Vampirovibrio, also quasi der komma-förmige Vampir, behandelt. Nun kommen wir aber zum nicht weniger spannenden Nachnamen chlorellavorus. Bei Chlorella handelt es sich um eine Gattung von Grünalge und vorus bedeutet nichts anderes als verschlingen. Es handelt sich bei Vampirovibrio chlorellavorus also um den Komma-förmigen, Chlorella-verschlingenden Vampir. Damit ist das Bakterium, wie ich finde, auch eigentlich voll umfänglich beschrieben.
Ein bisschen mehr möchte ich euch dann doch noch erzählen. Zum Beispiel darüber, wie sich dieses Bakterium denn nun genau ernährt. Vampirovibrio ist nämlich eine von wenigen räuberischen Bakterienspezies und bei ihrer Beute handelt es sich um die Grünalge Chlorella. Vampirovibrio kann selbst nicht schwimmen, da ihm der dazu notwendige Motor, das sogenannte Flagellum, fehlt. Schwimmt nun aber eine Grünalge vorbei, dann kennt das Bakterium keine Gnade. Blitzschnell heftet es sich an die Zellwand der Alge an und durchsticht diese mit einem darauf spezialisierten Proteinkomplex, einem sogenannten Typ IV Sekretionssystem, das ein bisschen an eine Spritze erinnert. Dann wird die Alge Stück für Stück ausgesaugt, bis nur noch eine leere Hülle übrig ist. In diesem Fall die Zellwand und die Zellmembran. Gestärkt durch die Eingeweide der Grünalge kann sich Vampirovibrio chlorellavorus während des Aussaugprozesses teilen und damit einen neuen Vampir in die Welt entlassen. Interessant ist hierbei, das Vampirovibrio sehr wählerisch ist. Außer der Grünalge kann es quasi keine anderen Nahrungsquellen nutzen. Will man das Bakterium also künstlich kultivieren, muss sich ebenfalls eine Chlorella-Algenart in der Kultur befinden. Chlorella vulgaris ist dabei das Lieblingsessen der Bakterien.
Erstmals entdeckt wurde Vampirovibrio chlorellavorus im Jahr 1966 durch Gromov und Mamkayeva in einer Algenkultur, die aus einem ukrainischen Wasserreservoir gewonnen wurde. Die Wissenschaftler gaben dem Organismus damals noch den Namen der Bdellovibrio chlorellavorus. Der Präfix Bdello- lässt sich hier vom griechischen Egel, wie im Blutegel, ableiten. Auch das ist natürlich ein Hinweis auf eine sehr besondere Lebensweise. Auch da die räuberische Gattung Bdellovibrio erst vier Jahre zuvor, im Jahre 1962, durch Hans Stolp beschrieben wurde, erschien diese Zuordnung zunächst als sinnvoll. Wenige Jahre später wurde sie dann aber korrigiert, vor allem, weil sich große Unterschiede in der Lebensart von Bdellovibrio und dem Grünalgen-verschlingenden Vampir zeigten.
So sind Bakterien der Gattung mit der Bdellovibrio, Bakteriovorax oder Micavibrio zwar nicht weniger räuberisch, gehen aber in diesem Prozess etwas anders vor. Zuerst unterscheidet sich schon mal die Beute dieser Gattung von der von Vampirovibrio chorellavorus. Wo Vampirovibrio Grünalgen verschlingt, haben es Bdellovibrionen eher auf Wesen abgesehen, die ihnen selbst ähnlicher sind - andere Bakterien. Und anstatt sie von außen anzustechen, gehen sie auch hier etwas rabiater vor. Sie öffnen nämlich die Membran, also die Haut der Bakterien, und dringen in sie ein. Dort ernähren sie sich dann vom Zytoplasma, sozusagen den Eingeweiden der Bakterien, können sich dort teilen und wenn alle Nahrung aufgebraucht ist, lösen sie die Außenwände ihrer Beute auf, um wieder ins Freie zu gelangen. Andere räuberische Bakterien, wie beispielsweise Myxococcus xanthus, jagen ihre Beute sogar in größeren Verbänden. Ähnlich einem Wolfsrudel arbeiten sie dabei zusammen, um ihre Beutezellen zu erlegen und ihren schmackhaften, nährstoffreichen Inhalt freizulegen. Im Fachjargon nennt man diesen Prozess lysieren, also auflösen. Diese besonders kooperative Form der Jagd hat Myxococcus xanthus bereits den Titel Mikrobe des Jahres 2020 eingebracht.
Aber nun zurück zu Vampirovibrio chlorellavorus. Dieses Bakterium gehört zu einem Schwesterstamm der Cyanobakterien. Die Cyanobakterien sind eine Abteilung, auch genannt Phylum, der Bakterien, die eigentlich dafür bekannt sind, Photosynthese zu betreiben. Vampirovibrio und andere räuberische Bakterien sind den Cyanobakterien zwar sehr ähnlich, allerdings fehlt ihnen ein entscheidender Bestandteil - die Photosynthese-Maschinerie. Sie wurden deshalb in einer eigenen Abteilung zusammengefasst, den Melainabakterien. Melaina, die hier als Namensgeberin fungiert, ist der griechischen Mythologie nach eine Nymphe, die über dunkle unterirdische Aspekte wacht. Womit wir doch auch wieder recht nah an unserem Halloween Thema sind.
Übrigens ist Vampirovibrio chlorellavorus mit der einzige Vertreter der Melainabakterien, der erfolgreich im Labor kultiviert werden konnte. Es gibt einige andere Arten, die man dieser Gruppe zuordnet, allerdings konnte man diese noch nicht im Detail untersuchen, unter anderem deshalb, weil ihre sehr spezifischen Ernährungsgewohnheiten für Forschende nur schwierig zu erfüllen sind.
Heute konntet ihr also lernen, dass es auch in der Welt der Mikroben nicht immer nur friedlich zugeht. Neben Vampirovibrio chlorellavorus, das sich von Innereien von Grünalgen ernährt, gibt es viele weitere räuberische Bakterien, die sich teilweise sogar von anderen Bakterien ernähren. Ob Anstechen und aussaugen, von innen heraus verdauen oder gar im Rudel jagen und auflösen. Die Strategien sind vielfältig und gleichzeitig ganz schön beeindruckend. Falls also noch jemand nach einer geeigneten Verkleidung zu Halloween gesucht hat - vielleicht seid ihr ja hier fündig geworden. Warum denn nicht mal als räuberisches Bakterium verkleiden und gleichzeitig noch einen Bildungsauftrag erfüllen, weil man jedem seine Verkleidung erklären muss?
Links & weitere Infos
· Lebenszyklus und Nahrungsbeschaffung von Vampirovibrio chlorellavorus
Soo RM, Woodcroft BJ, Parks DH, Tyson GW, Hugenholtz P. 2015. Back from the dead; the curious tale of the predatory cyanobacterium Vampirovibrio chlorellavorus. PeerJ 3:e968 https://doi.org/10.7717/peerj.968
· Überblick über die verschiedenen Strategien räuberischer Bakterien
R. Guerrero, C. Pedrós-Alió, I. Esteve, J. Mas, D. Chase, & L. Margulis, Predatory prokaryotes: Predation and primary consumption evolved in bacteria, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 83 (7) 2138-2142, https://doi.org/10.1073/pnas.83.7.2138 (1986).
· Erstbeschreibung von Vampirovibrio chlorellavorus
Gromov, B. V., & Mamkaeva, K. A. (1972). [Electron microscopic study of parasitism by Bdellovibrio chlorellavorus bacteria on cells of the green alga Chlorella vulgaris]. Tsitologiia, 14(2), 256–260.