Bacillus subtilis

Tausendsassa zwischen Spülkästen und Beton

Es ist Herbst geworden und in vielen deutschen Bundesländern stehen die Herbstferien kurz bevor. Und Ferienzeit bedeutet oft Urlaubszeit. Wer gerne mit dem Auto in den Urlaub fährt, der hatte auch schon mit dem Mikroorganismus, um den es in der heutigen Folge gehen soll, etwas zu tun. Und ich muss sagen - zum Glück! Denn wie ihr gleich erfahren werdet, ist das betreffende Bakterium ein wahrer Superheld, wenn es darum geht, uns vor seinen gefährlichen Mitmikroben zu beschützen. Heute sprechen wir über Bacillus subtilis und der Ort, an dem die meisten von euch diesem Bakterium schon mal begegnet sind: Die Toilette einer Autobahnraststätte.

Wessen erste Intuition jetzt Ekel war: Lasst mich das erklären. Eigentlich sorgt Bacillus subtilis nämlich dafür, dass es nicht ganz so eklig ist, wie es vielleicht sein könnte. Dem Spülwasser von Raststättentoiletten werden nämlich Sporen von Bacillus subtilis beigemischt. Bei Sporen handelt es sich, wie ihr vielleicht noch aus der Folge über Streptomyces coelicolor wisst, um eine resistente Überdauerungsform eines Bakteriums. Sporen werden oft in Reaktion auf Hungerzustände oder allgemein schlechte Wachstumsbedingungen gebildet und enthalten alle Informationen, die es braucht, damit sich aus ihnen bei verbesserten Wachstumsbedingungen wieder voll funktionale Bakterienzellen ausbilden können. Genau auf diese Fähigkeit setzt man auch bei Raststättentoiletten. Bacillus subtilis hat den sogenannten GRAS-Status, wobei GRAS oder G-R-A-S ein Akronym für “generally regarded as safe” oder auf Deutsch “allgemein als sicher angesehen” ist. Das heißt im Gegensatz zu vielen anderen Mikroorganismen, die sich so auf Raststättentoiletten tummeln können, wie beispielsweise das Darmbakterium Escherichia coli, ist Bacillus subtilis für den Menschen vollkommen ungefährlich. Es hat zudem den Vorteil, dass seine Sporen sehr lange überdauern können, sich sehr schnell entwickeln und sich die daraus entstehenden Zellen sehr schnell teilen und ausbreiten können. Sollten im Spülwasser also Bedingungen herrschen, die bakterielles Wachstum begünstigen, wächst vor allem das ungefährliche Bakterium Bacillus subtilis und unterdrückt durch sein schnelles Wachstum die Ausbreitung anderer in den meisten Fällen potenziell gefährlicher Mikroorganismen. Damit garantiert Bacillus subtilis also unser aller Sicherheit in der Reisezeit!

Jetzt wird es aber Zeit, dass ich euch unseren kleinen Freund und Helfer, etwas im Detail vorstelle, wobei wir einen alten Bekannten treffen werden. Das erste Mal beschrieben wurde Bacillus subtilis nämlich von Christian Gottfried Ehrenberg, der auch schon in der Folge über Serratia marcescens eine Rolle gespielt hat. Bei der Erstbeschreibung von Bacillus subtilis ist ihm allerdings keiner zuvorgekommen, und so gilt seine Isolation des Bakteriums aus einem frischen Heuaufguss im Jahre 1835 als erste Entdeckung dieser Mikrobe. Christian Gottfried Ehrenberg beschrieb das Bakterium noch als Heubazillus beziehungsweise Vibrio subtilis, also feines oder subtiles gekrümmtes Stäbchen. Etwa 50 Jahre später wurde das Bakterium dann von Ferdinand Julius Cohn in einer Bemühung, Bakterien besser zu klassifizieren, in Bacillus subtilis, also feines Stäbchen umbenannt. So sehr gekrümmt ist Bacillus nämlich auch gar nicht.

Während es durchaus aus Wasser, Luft und auch Staub isoliert werden kann, handelt es sich bei Bacillus subtilis eigentlich um ein Bodenbakterium, worauf auch seine erste Isolation aus einem Heuaufguss hinweist. Dabei wächst es vor allem in den oberen Schichten und rund um lebende Wurzeln in der sogenannten Rhizosphäre. In dieser Umgebung sind Bakterien stark wechselnden Bedingungen ausgesetzt. So erfahren die oberen Bodenschichten häufig Schwankungen im Nährstoffgehalt, je nachdem, ob beispielsweise gerade ein Apfel vom Baum gefallen ist oder nicht. Zudem kann auch die Temperatur Werte von bis zu 40 Grad unter Sonneneinstrahlung oder sogar um mehrere Grad unter dem Gefrierpunkt erreichen, was das Bakterium vor zusätzliche Herausforderungen stellt, wenn es um das Sicherstellen seines Überleben geht. Genau hier kommen nämlich die schon angesprochenen Sporen ins Spiel. Dabei handelt es sich um sogenannte Endosporen, die innerhalb einer Mutterzelle gebildet werden. Diesen Prozess nennt man Sporulation und die freigesetzten Dauersporen haben eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit. So können sie sowohl extreme Hitze oder Kälte als auch Trockenheit, Nahrungsmangel, Druck und bestimmte Arten von Strahlung überstehen, nur um bei geeigneten Bedingungen innerhalb weniger Minuten neue Zellen zu bilden und sich weiter zu vermehren. Um zu untersuchen, wie groß diese Widerstands- und Wiederauflebensfähigkeit ist, war Bacillus subtilis sogar schon im Weltraum.

So startete am 16. April 1972 mit Apollo 16 die fünfte bemannte NASA Mission in Richtung des Erdmondes mit an Bord: Bacillus subtilis Sporen. Einige weitere Weltraummissionen und ein paar Jahre später konnten Forschende dann die Ergebnisse ihrer Experimente veröffentlichen. Die Sporen können die extremen Temperaturen, das Vakuum und die kosmische Strahlung im All überstehen, solange sie vor zu starker UV-Einstrahlung geschützt sind, was beispielsweise durch Meteoritenstaub erfolgen kann. Bis zu sechs Jahre später konnten aus diesen Sporen wieder neue lebensfähige Zellen entstehen. Weitere Experimente geben sogar Hinweise darauf, dass Bacillus subtilis Sporen, die eigentlich als lebensfeindlich betrachteten Bedingungen auf dem Mars überstehen könnten. Zumindest solange sie auch hier durch Staubpartikel oder ähnliches vor der starken Strahlung geschützt sind. Als wäre das nicht schon beeindruckend genug, konnte zudem gezeigt werden, dass Sporen von nahen Verwandten, von Bacillus, also genauer anderer Spezies aus der Gattung Bacillus Millionen von Jahren überdauern können. So gibt es Berichte von Forschenden, die Bacillus Sporen aus den Eingeweiden von Bienen wiederbelebt haben wollen, die vor etwa 25 Millionen Jahren in Bernstein eingeschlossen wurden. Sogar aus einem 250 Millionen Jahre alten Salzkristall, aus der sogenannten Salado-Formation zwischen den US-amerikanischen Staaten Texas und New Mexico, sollen Spuren isoliert und belebt worden sein. Solche Beobachtungen werden aber auch in der Wissenschaft stellenweise kontrovers diskutiert. Nun sollen kontrollierte Dauerexperiment helfen, der Frage auf den Grund zu gehen, wie lange Bacillus subtilis in seiner Sporenform überdauern kann.

Jetzt wollen wir aber von der widerstandsfähigen Dauerform zurück zu den etwas lebendigeren Gegenstücken. Denn auch in seiner teilungsfähigen Zellform hat Bacillus subtilis noch einiges zu bieten. So wird es beispielsweise in Tierfutter eingesetzt, aber auch Menschen nutzen seine Fähigkeiten in der Lebensmittelproduktion. Wer schon mal in Asien unterwegs war, dem sagt Natto vielleicht etwas. Dabei handelt es sich um ein traditionelles japanisches Lebensmittel, das aus Sojabohnen hergestellt wird. Diese werden hierfür zunächst gekocht und dann für einen Tag in Reisstroh eingewickelt. Um die Sojabohnen entsteht dann eine Art Schleim und sie bekommen einen sehr markanten Geruch. All das ist auf einen Fermentationsprozess zurückzuführen, der durch unseren kleinen Helfer Bacillus subtilis in Gang gesetzt wird. Genauer gesagt handelt es sich hierbei um die Subspezies Bacillus subtilis natto. Subspezies bedeutet, dass das Bakterium eindeutig der Art Bacillus subtilis zugeordnet werden kann, aber minimale Abweichungen aufweist und eine ganz kleine biologische Nische bewohnt. In der traditionellen Herstellungsweise ist diese Nische das verwendete Reisstroh. Heutzutage werden die Bakterien allerdings meist direkt während des industriellen Herstellungsprozesses zugegeben.

Auch in der Biotechnologie findet Bacillus subtilis Anwendung. So wird es beispielsweise in der Produktion von Waschmittelenzymen wie dem nach ihm benannten Subtilisin genutzt. Subtilisin ist eine sogenannte Protease, das heißt, es kann Eiweiße auch genannt Proteine spalten und dabei unter anderem helfen, Flecken aus unserer Wäsche zu entfernen - und das ganz ohne dass wir superheiß waschen müssen. Auch das Antibiotikum Bacitracin und Riboflavin, auch bekannt als Vitamin B2, können neben vielen anderen Futterzusatz und Nahrungsergänzungsmitteln im Maßstab von vielen Tonnen jährlich durch Bacillus subtilis hergestellt werden.

Und das war immer noch nicht alles. Vor kurzem wurde Bacillus subtilis erfolgreich in der Bauindustrie eingesetzt. Beton ist in diesem Kontext eigentlich das Sinnbild von Stabilität. Allerdings kann auch dieses Material mit der Zeit Risse bekommen, Wasser kann eindringen und Frost die festen Strukturen im Zweifelsfall sogar auseinander sprengen. Nicht aber mit Bacillus subtilis. Die Sporen werden in den Beton eingearbeitet und halten problemlos das alkalische Milieu und die hohen Temperaturen beim Aushärten aus. Solange der Beton intakt ist, bleiben sie in ihrer Überdauerungsform. Entstehen nun allerdings Risse im Beton, durch die Flüssigkeit eindringt, leben die Sporen wieder auf und die Zellen des verwendeten Stamms von Bacillus subtilis können Kalziumkarbonat produzieren. Dabei handelt es sich um nichts anderes als Kalkstein, der die Risse im Beton verschließen und damit für langlebigere Bauten sorgen kann.

Zuletzt ist Bacillus subtilis ein wichtiger Modellorganismus in der Forschung. Sein Genom, also der Bauplan, ist komplett entschlüsselt. Was es einfacher macht, Prozesse wie beispielsweise die Spekulation im Detail zu untersuchen. Zudem hat Bacillus subtilis die Fähigkeit, Biofilme zu bilden - eine Form des bakteriellen Lebens, die vor allem in der Forschung der letzten 20 Jahre eine zunehmende Rolle spielt. Hierbei können sich einzelne Bakterien zu einer großen Gruppe zusammenschließen, ähnlich einer Dorfgemeinde. Unterschiedliche Zellen können unterschiedliche Aufgaben übernehmen und stimmen sich untereinander ab, um das Überleben der Gemeinschaft zu sichern. Wer schon mal im Sommer am See war und die Bildung einer feinen, trüben Schicht, der sogenannten Kahmhaut auf dem Wasser bemerkt oder einen trüben Essig gekauft und den unförmigen Blob mit dem Namen Essigmutter daran hat herumschwimmen sehen, der hat sogar schon einen Biofilm im echten Leben beobachten können. Neben diesen alltäglichen Vorkommen gibt es Biofilme aber auch im Krankenhaus. Dort können sie auf Kathetern, Implantaten und medizinischen Instrumenten wachsen und sind ein echtes Problem. Im Vergleich zu ihren einzelligen Gegenstücken sind Biofilme nämlich sehr resistent gegen Desinfektionsmittel und Antibiotika und werden so zur wachsenden Bedrohung. Mit Bacillus subtilis bietet sich allerdings ein perfektes, ungefährliches Modellsystem an dem Forschende im Labor untersuchen können, wie diese Zusammenschlüsse so resistent werden, wie Zellen untereinander kommunizieren können und wie man das alles vielleicht verhindern und damit der wachsenden Bedrohung durch Biofilme etwas entgegensetzen kann.

Heute konnte ich euch also einen wahren Tausendsassa der mikrobiologischen Welt näher bringen. Gerade diese Vielseitigkeit von Bacillus subtilis hat wohl auch dazu geführt, dass das Bakterium durch die VAAM, die Vereinigung für allgemeine und angewandte Mikrobiologie, zur Mikrobe des Jahres 2023 gewählt wurde. Ihr konntet heute also einen echten Star kennenlernen. Zwischen Spülkästen auf Raststätten und selbstheilendem Beton, der Herstellung von Waschmittel, Enzymen und Lebensmitteln. Bacillus subtilis ist ein fester, wenn auch leicht zu übersehener Bestandteil des alltäglichen Lebens ganz vieler Menschen. Ich hoffe, ich konnte euch für seinen Facettenreichtum und seine beeindruckende Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit begeistern. Und vielleicht kommt euch die Folge ja in den Sinn, wenn ihr das nächste Mal euer Waschmittel in die Hand nehmt oder eben in der Reisezeit die Spülung einer Raststättentoilette betätigt.

Damit bleibt mir nur noch eins zu sagen: Vielen Dank fürs Zuhören und bleibt neugierig!

Links & weitere Infos

  • Mikrobe des Jahres 2023, VAAM

https://vaam.de/infoportal-mikrobiologie/mikrobe-des-jahres/archiv/2023-bacillus-subtilis/mikrobe-des-jahres-2023/

  •  Resistenz von Bacillus subtilis Sporen

https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC6279046/

  •  Bacillus subtilis im Weltall

https://link.springer.com/article/10.1007/BF01581989

https://www.frontiersin.org/journals/microbiology/articles/10.3389/fmicb.2019.00333/full

  •  Auswirkung von Bacillus subtilis im Beton

https://www.nature.com/articles/s41598-023-34837-x

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Serratia marcescens